Bremerhaven – Madeira

1. Etappe:
Bremerhaven -Madeira

Samstag, 15. Sept. 2018: Bremerhaven – Bremerhaven

Bereits vor fünf Uhr stehe ich auf. Ich möchte die Schleuse um 06.00 Uhr passieren, um dann den auslaufenden Gezeitenstrom zu nutzen, möglichst schnell nach Helgoland zu gelangen. Dort möchte ich zollfrei Diesel tanken.

Endlich kann das Abenteuer beginnen! Ich werfe die Leinen los, lasse den Autopiloten steuern, damit ich die Belegtrossen aufschiessen und die Fender verstauen kann. Plötzlich reisst der Autopilot aus dem Nichts heraus die Pinne hart nach steuerbord. Pagan steuert direkt auf das Quai los! Ich stürze ins Cockpit, schalte den Autopiloten aus, reisse die Pinne herum und gebe Vollgas retour, um Pagan zu bremsen. Nur eine Handbreite vor dem Quai habe ich alles wieder unter Kontrolle. Das war aber äusserst knapp! Was war das nur?

Ich passiere die Schleuse und fahre dann ins gut betonnte Fahrwasser.

Nun teste ich den Autopiloten. Er scheint zu funktionieren, macht dann aber plötzlich wieder heftigste Kurven und fährt schliesslich nur noch im Kreis herum. Vor wenigen Tagen haben Nils und ich noch alles kalibriert und getestet, das System lief einwandfrei. Ich telefoniere Nils, der mir empfiehlt, den Autopiloten nochmals neu zu installieren und den Kompass neu zu kalibrieren. Ich führe das ganze Prozedere mehrfach durch, doch es funktioniert nicht. Der Steuerkompass ist definitiv defekt. Nils empfiehlt, den Kompass des Kartenplotters als Steuerkompass anzuwählen und den defekten Kompass bei nächster Gelegenheit auszuwechseln. Er werde mir einen in die Schweiz schicken, damit ihn Gertrud nach Madeira mitnehmen könne.

Einige Stunden sind verstrichen und so ist die Zeit nach Helgoland zu fahren zu knapp. Ich lege Pagan in den Aussenhafen von Bremerhaven und werde morgen losfahren.

Frank hat einmal gespöttelt, dass schon viele zu einer Weltumsegelung aufgebrochen seien und bereits vor Helgoland die rote Flagge hiessen mussten… es wäre wahrscheinlich rekordverdächtig gewesen, wenn ich schon im Hafen vor der Schleuse Vollgas ins Quai gebrummt wäre und bereits da hätte die rote Fahne hissen müssen!

 

Sonntag, 16. Sept. 2018: Bremerhaven – Helgoland – See

Frühmorgens verlasse ich Bremerhaven.

Der auslaufende Gezeitenstrom hilft tüchtig mit und so bin ich bereits sieben Stunden später in Helgoland. Da sich die Tankstelle im untiefen Binnenhafen befindet, muss ich den Kiel hieven. Bei gehobenem Kiel hat Pagan nur 0.90 m Tiefgang, wenn er ganz unten ist 3.20 m.

Zuerst werden die Backbord- und Steuerbordtänke gefüllt, danach zehn 25 l Kanister. Nun möchte ich noch den Reservetank im Kiel füllen. Der Tankwart fragt, wie viel denn darin Platz hätten. Ich schätze 600 l, weiss es aber nicht, da ich ihn erst frisch überholt und vorher noch nie gefüllt habe. Nach 600 l fragt der Tankwart, ob ich vielleicht einmal in der Bilge nachschauen wolle… Nach 800 l sucht er das Wasser rund um Pagan nach Ölflecken ab, nach 1000 l schüttelt er ungläubig den Kopf und nach 1’500 l ist der Kieltank voll.

Pagan liegt mit 2200 l Diesel gebunkert im Binnenhafen von Helgoland.

Bevor es einnachtet, verlasse ich Helgoland, Kurs Ärmelkanal. Ich muss mich beeilen, spätestens am 6. Oktober sollte ich in Madeira sein, da kommen mich Gertrud und Flurina besuchen. Es sind gut 1’800 sm nach Madeira, also schätzungsweise 18 Tage. Für meine Routenberechnungen setze ich jeweils 100 sm pro Tag auf direktem Kurs zum Ziel ein. Dieser Durchschnittswert hat sich sehr bewährt, einmal verliert man Zeit beim Aufkreuzen oder in Flauten, holt sie aber üblicherweise bei günstigen Bedingungen wieder auf. Meist brauchen wir weniger lang als berechnet, das sind dann geschenkte Ferientage!

Mit einem Wind aus SW 25-30 Knoten rausche ich mit gut 8 Knoten dem Ärmelkanal entgegen.

 

Dienstag, 18. – Donnerstag, 20. Sept. 2018: See – Zeebrugge

Gegen Mittag frischt der Wind immer stärker auf, die Nadel des Windmessers steht dauerhaft bei 30-35 Knoten, in Böen teilweise darüber. Ich berge die beiden Stagsegel, reffe das Gross und die Genua und versuche hart am Wind dagegen anzukreuzen. Der giftige Wind ist kein Problem, das haben Pagan und ich bestens im Griff, wir sind schliesslich ein gut eingespieltes Team, doch die elend kurzen, steilen, wild durcheinanderlaufenden Wellen bremsen Pagan richtiggehend aus und rauschen immer wieder übers Deck. In diesem Hexenkessel kann ich nur wenige Seemeilen gut machen. Was für ein mühsames Wetter! Ich verfluche mich, jetzt da draussen zu sein, die Wetterprognose und Gertrud haben ja alles exakt vorausgesagt – doch das hat man eben davon, wenn man ein Starrkopf ist und um jeden Preis nach Madeira will!

In der Nacht entwischt mir zu allem Übel ein Fall aus den Händen und schwingt, der grosse Schäkel voraus, im Direktflug auf den zischenden Windgenerator los. Es knallt, splittert und zwei Rotorblätter sind defekt. Eigentlich gut, dass das hier passiert ist und nicht später – ich habe tatsächlich keine Reserve-Rotorblätter bei mir! Über Mail (Iridium) organisiere ich 6 Rotorblätter, die Gertrud nach Madeira mitnehmen wird.

Der Mittwoch und Donnerstag verlaufen ähnlich mühsam. Viel Wind, viel Krängung, viele Schläge, viel Wasser auf Deck, wenig Schlaf, wenig Strecke gutgemacht, schlechte Laune.

Die Wetterprognose warnt vor noch stürmischerem Wetter in der Nacht auf Freitag, so entschliesse ich mich, einen Hafen anzulaufen.

Der Hafen von Zeebrugge bietet sich an und so stecke ich Kurs ab. Zeitlich wird es eher knapp werden, denn einen unbekannten Hafen laufe ich aus Prinzip nie bei Dunkelheit an. Ich wühle im Schapp, wo alle Gastflaggen hineingestopft sind. Hier, eine holländische Flagge. Sie gehörte dem Voreigner von Pagan, einem Holländer. Entsprechend gross ist die Flagge, deutlich grösser als unsere Schweizerflagge – egal, Hauptsache ich habe eine!

Über UKW Funk melde ich mich bei der Hafenkontrollstelle an, die mir freie Fahrt gewährt. Um 19.30 Uhr laufe ich in den Hafen ein, biege um die Ecke, wo ein grosses Schild steht: «Welcome Royal Belgian Sailing Club». Bevor ich die Fender heraushänge, rupfe ich die riesige Holländische Flagge herunter…

Im geschützten Hafen lasse ich die Front über mich ziehen, ersetze die Dichtungen einiger Luken und erledige weitere Arbeiten an Pagan.

 

Samstag, 22. – Sonntag 23. September 2018: Zeebrugge – Calais

Ein Tiefdruckgebiet jagt das nächste. An diesem Samstag sieht es aber ruhig aus, am Sonntag soll es bereits wieder mit orkanartigen Winden stürmen.

Ich nutze dieses ruhige Wetterfenster und verlasse bei Dämmerung den Hafen von Zeebrugge und segle nach Calais. Vor der Schleuse schnappe ich mir eine Boje und verbringe dort die Nacht. Der nördliche Wind pfeift ungehindert in die Hafeneinfahrt, schiebt tüchtig Wellen vor sich her, die Pagan an der Boje fürchterlich ins Rollen bringen. Bequem wäre anders!

Ich bleibe auch am Sonntag noch in Calais, bis der Spuk vorüber ist.

 

Montag, 24. September – Freitag, 5. Oktober 2018: Überfahrt Calais – Madeira

Um 06.00 Uhr möchte ich den Hafen verlassen, muss aber auf Geheiss der Hafenkontrollstelle aus Sicherheitsgründen noch zwei Fähren abwarten. Eine halbe Stunde später kann ich endlich los.

Der Gezeitenstrom hilft tüchtig mit, sodass ich mit über 11 Knoten dem Ärmelkanal entgegenrausche. Das ist Musik!

Am Mittwoch peile ich die Insel Ile de Quessant steuerbord quer ab – der Ärmelkanal liegt hinter mir, der Atlantik vor mir. Wenige Augenblicke später setzt die ruhige, runde, langezogene Dünung des Atlantiks ein.

Vor mir geht die Sonne unter, hinter mir der Vollmond auf. Ein wunderschönes Gefühl, das ist für mich Freiheit!

Die Nächsten Tage sind mehrheitlich ruhig, leichte Brisen aus nordöstlicher Richtung wechseln sich mit Flauten ab. Bevor jeweils eine neue Brise einsetzt, kommt Stunden zuvor Dünung auf, die Pagan heftig ins Rollen versetzt. Das nehme ich aber gerne in Kauf, wenn das Vorboten des Windes sind!

Auf der Überfahrt setze ich oft das leichte Halbwindtuch, den Code Zero – ganz nach Gertruds Motto: Brauche den Code Zero, denn Code Zero bedeutet: Zero Diesel!

In einigen Flautenlöchern entscheide ich mich trotzdem, den Motor anzuwerfen, denn der 6. Oktober, Gertruds und Flurinas Ankunftstag in Madeira, rückt schnell näher.

Der Diesel wird knapp und so entscheide ich mich, das erste Mal Diesel aus unserem Kieltank zu pumpen. Von Deck aus, schafft es die Elektropumpe nicht, den Diesel anzusaugen, da hilft auch das Saugen meinerseits am Schlauch nicht. Die Höhendifferenz ist zu gross. Ich steige also in den Schacht runter und installiere die Pumpe direkt auf dem Kiel. Obwohl auf diese Weise deutlich weniger Höhe zu überbrücken ist, schafft es die Pumpe wieder nicht. Ich versuche wiederum mit Saugen nachzuhelfen – und augenblicklich schiesst ein dicker Strahl Diesel direkt in meinen Mund, ins Gesicht, Haare, Kleider, aufs Deck – was für eine verdammte Schweinerei!!! Ich fluche und versuche mich zu beruhigen – so muss sich wohl Goldrausch anfühlen…?

Nach einer stündigen Reinigungsaktion mit 2 Flaschen Geschirrspülmittel (ja, auch für Gesicht, Bart, Haare, Kleider, Deck etc.) fülle ich Kanister um Kanister und befülle die Tänke. Ein Trick nach dem anderen finde ich heraus, am Schluss macht das Tanken auf hoher See richtig Spass.

Der Motor brummt, Pagan pflügt mit 7 bis 8 Knoten durchs ruhige Wasser. Plötzlich leuchtet die rote Temperatur-Warnlampe auf, weisser Rauch qualmt aus dem Auspuff. Sofort stelle ich den Motor ab. Die Kühlwasserleitungen und die Kühlwasserpumpe sind heiss. Ich öffne den Seewasserfilter und habe das Gefühl, dass zu wenig Wasser nachströmt. Ist der Borddurchlass verstopft? Ich befestige am Ende eines 100m langen Schwimmseils einen grossen Fender, werfe das Ganze achterlich über Bord, ziehe Taucherbrille, Schnorchel und Flosse an, bewaffne mich mit Spachtel und Schraubenzieher und springe ins Wasser. Es ist unheimlich, so ganz alleine, mitten im Meer an einem schwankenden Boot zu arbeiten.  Das Wasser ist erstaunlich warm, absolut klar und ganz hellblau. Ich bin positiv überrascht, der Borddurchlass sieht gut aus. Ich kratze alles frei und bin schnell wieder an Bord. Dann muss es eben doch die Kühlwasserpumpe sein. Ich öffne sie und tatsächlich, der Impeller ist total zerfetzt. Ich demontiere noch die anschliessende Kühlwasserleitung, um die abgerissenen Gummiflügel herauszuklauben. Eigenartig, vor der Abreise haben Jörg und ich aus Sicherheitsgründen noch den Impeller gewechselt. War der wohl schon zu alt und spröde? Schnell ist der neue Impeller eingesetzt und die Maschine läuft wieder perfekt.

Am Sonntag ruht sich ein kleiner, scheuer Seevogel auf der Reling aus. Geschickt gleicht er die Schiffsbewegungen mit dem Körper aus und balanciert scheinbar mühelos auf dem dünnen Draht. Mit seinen schwarzen Kugelaugen beobachtet er mich skeptisch. Schon bald flattert er ins Cockpit und setzt sich auf das Seil der Selbststeueranlage. Hier ist das Balancieren aber um ein Vielfaches schwieriger!

Kurze Zeit später flattert er in die Kajüte und findet zwischen den 500 kg Pellets, die ich zum Heizen meines Kaminofens auf Pagan geladen habe, seinen Platz. Er verkriecht sich und guckt von Zeit zu Zeit neugierig heraus. Schon bald macht er einen ausgiebigen Schiffsrundgang und erforscht jede Ecke von Pagan.

Die Polsterlehne schätzt er besonders, hier lässt sich so richtig schön sch…

Er wird immer zutraulicher und schon bald hüpft er auf meinen Finger. Wie zart, federleicht und wunderschön er ist!

Diese Begegnung berührt mich zu tiefst und ich wünsche, er möge die ganze Reise mit mir zusammenbleiben.

Am späteren Nachmittag lege ich mich in die Koje, um ein kurzes Nickerchen zu machen. Mein Freund sitzt auf die Polsterlehne und beobachtet mich. Nach einer halben Stunde schrillt der Wecker. Der Vogel erschrickt, schiesst auf, knallt gegen die Decke, bricht sich das Genick und ist augenblicklich tot.

Ich bin traurig und ein wenig wütend auf mich: Das hätte ich doch voraussehen müssen!

Zurzeit geht der Mond erst kurz nach Mitternacht auf. Vorher ist es stockfinster, so dunkel, dass weder die Hände vor dem Gesicht, die Masten noch die weissen Segel sichtbar sind. Es ist fast ein bisschen unheimlich. Plötzlich wird es lebendig um Pagan. Überall beginnt es zu glitzern und Leuchtspuren werden gezogen. Das Wasser ist voller Leuchtplankton. Unzählige Delfine folgen dem Schiff, spielen mit der Bugwelle, springen aus dem Wasser, schiessen unter Pagan durch und bringen das Leuchtplankton so stark zum Glitzern, dass es überall hell wird. Ich bin wie verzaubert, sitze an Deck, kann mich nicht satt sehen und geniesse diesen magischen Anblick. Nach einer Viertelstunde verlassen die Delfine Pagan und es wird wieder stockdunkel.

Noch 95 sm bis Madeira. Würde ich jetzt mit dem Motor etwas nachhelfen, würde ich am Donnerstag, den 4. Oktober Madeira erreichen. Ich habe aber genügend Zeit, so entschliesse ich mich, die feine Brise zu nutzen und langsam Madeira entgegen zu gleiten. Ich sitze im Cockpit und lese etwas, da höre ich plötzlich ein lautes Prusten. Der Lautstärke nach müssen das Wale sein!

Tatsächlich, zwei Gruppen Wale nehmen aus unterschiedlichen Richtungen direkt Kurs auf Pagan. In jeder Gruppe sind zwischen 5 und 10 Tiere. Sie kommen immer näher, treffen sich unmittelbar neben Pagan.

Die Wale folgen Pagan. Es Pilotenwale und Pottwale! Sie schwimmen unter dem Schiff durch, kreisen um Pagan und die mächtigeren Wale lassen sich nur wenige Zentimeter vom Heck entfernt zur Seite kippen. Grosse, runde Augen schauen aus dem Wasser direkt in meine Augen.

Ich bin wie elektrisiert, starre ihnen in die Augen und kann mein Glück nicht fassen. Das Wasser ist hellblau und glasklar, ich sehe ihre Augen und jede Hautfalte gestochen scharf.

Eine weitere Schule Pottwale nähert sich. Unter den Walen wird es unruhig, es kommt zu einem kurzen Gerammel, tiefe Brummtöne sind deutlich zu hören, dann verziehen sich die ersten Pottwale und die neuen tuen es den ersten gleich und stillen ihre Neugierde.

Noch lange sitze ich im Cockpit, schaue der Sonne nach, wie sie in allen Rottönen am Horizont verschwindet. Ich bin von der Schönheit der Natur überwältigt.

In der Nacht sind die Lichter und der Leuchtturm von Puerto Santo deutlich auszumachen. Ich mache kein Auge zu, bin viel zu aufgeregt. Damit ich nicht in der Dunkelheit in Madeira ankomme, kürze ich die Segel und dümple langsam meinem Ziel näher.

Endlich geht die Sonne auf.

Kurz darauf runde ich die schroffe Insel «Ilhéu de Fora ou de Sao Lourenco» mit seinem Leuchtturm und folge der imposanten Küste bis zur Marina.

Um 9 Uhr liegt Pagan sicher vertäut in der Marina da Quinta do Lorde.