Madeira

Am 16. September bin ich in Bremerhaven losgesegelt und mit zwei kurzen Zwischenhalten nach 18 Fahrtentagen und 1893 sm am Freitagmorgen, 5. Oktober 2018 gut in Madeira in der Marina da Quinta do Lorde angekommen.  Genau rechtzeitig, denn morgen kommen Gertrud und Flurina für zweieinhalb Wochen in die Ferien. 

Kaum ist Pagan sicher vertäut, beginne ich zuvorderst in der V-Koje mit der «Generalreinigung» und arbeite mich gründlich bis zuhinterst durch. Die Langstrecke hat mich schon ein wenig ermüdet und so muss ich mich zusammenreissen, nicht in der Mitte schlapp zu machen. Nach erledigter Arbeit falle ich hundemüde aber zufrieden in die Koje und geniesse den ungestörten Schlaf im ruhigen Hafen.

Am Morgen wird noch frisches Bettzeug angezogen, alles einladend eingerichtet und im Hafenrestaurant ein Tisch für das Abendessen reserviert, denn ein guter Freund hat mir strengstens verboten, meinen Liebsten als Willkommensessen Bohnen aus der Büchse zu servieren…

Am Samstag stehe ich bereits am früheren Nachmittag auf dem Flughafen und warte auf Gertrud und Flurina. Auf der Anzeigetafel wird die Ankunftszeit des Flugzeuges im Viertelstundentakt immer um eine Stunde nach hinten verschoben. Ich warte über 5 Stunden auf dem Flughafen. Ich  schmunzle – Pagan und ich hätten uns eine solche Verspätung nie erlaubt!

Endlich kommen Gertrud und Flurina durch die Türe, ein schönes Wiedersehen! 

Es ist schon so spät, dass keine öffentlichen Busse mehr verkehren und so mieten wir ein Auto. Das Hafenrestaurant hat natürlich auch schon geschlossen – und so gibt es als Willkommensessen ein auf dem Flughafen gekauftes Sandwich! Wären da Bohnen aus der Büchse auf einem schön gedeckten Tisch auf Pagan nicht doch besser gewesen?!

Auf der Hauptinsel Madeira mieten wir zweimal für drei Tage ein Auto, um das Landesinnere zu erkunden und uns frei bewegen zu können. 

Mit Pagan haben wir in der schönen Naturbucht Enseada da Abra, wo wir die neue Schnorchelausrüstung eingeweiht haben, vor Machico mit seiner schönen Altstadt, dem Sandstrand und den guten Einkaufsmöglichkeiten und vor Canical geankert. Canical war früher ein bedeutender Walfängerhafen. Im Sitz des früheren Walfischunternehmens ist heute ein sehr sehenswertes Walmusem eingerichtet, das einem die Geschichte des Walfangs sowie die unterschiedlichen Wale und ihre Lebensweisen sehr eindrücklich näher bringt. Der Besuch hat sich sehr gelohnt! 

Alle Ankerplätze waren unruhig. Es scheint, dass der Schwel von Norden dem Ufer nach um die ganze Insel in jede Ankerbucht zieht und so Pagan immer wieder teils heftig ins Rollen gebracht hat. In Machico haben wir nach einer schlaflosen Nacht gleich im Morgengrauen wieder den Anker gelichtet. Nichts desto trotz, es hat sich gelohnt, wir haben viel gesehen und erlebt. 

Einige Eindrücke möchte ich euch nicht vorenthalten:

 

Funchal

Madeira ist eine vulkanische Insel. Überall ragen Gipfel empor und dazwischen hat es Steilküsten und viele Täler, in denen kleinere und grössere Siedlungen liegen, so auch die Hauptstadt Funchal.  Die bunten Häuser sind weit verstreut und kleben richtiggehend in den Hängen. Die ganze Insel ist mit neuen Schnellstrassen und Tunnels gut erschlossen. Viel schöner ist es jedoch, auf den alten, teilweise extrem steilen und kurvenreichen Strassen zu fahren, die in versteckte Quartiere, abgelegene Täler, Siedlungen und über Pässe führen. 

Funchal, weit unten der Hafen.

Wir streifen durch die unzähligen Gässchen der Altstadt und bestaunen die vielen Ladenlokale und Butiken. In der Markthalle «Mercado dos Lavradores» decken wir uns mit himmlischen Tropenfrüchten ein und bestaunen die schwarzen Degenfische, die hier als Spezialität gelten. Die aalähnlichen, schwarzen Fische erkennt man leicht an den riesigen Augen und dem furchteinflössenden Maul mit den scharfen Zähnen. Sie werden mit der Angelschnur in einer Tiefe von bis zu 2000 m gefangen. Sie sehen schrecklich aus – auf dem Teller schmecken sie jedoch vorzüglich!

Ein Besuch im weltbekannten botanischen Garten Funchal ist ein Muss, wäre aber zur Blütezeit im Sommer bestimmt noch eindrücklicher.

Botanischer Garten, Funchal.

Gertrud und Flurina meinen, dass ich total verwildert aussehe und stecken mich kurzerhand zum Coiffeur. Als ich fertig geschoren bin, schüttelt der über 80 jährige Patron den Kopf und weist mich auf seinen Stuhl Platz zu nehmen. Jetzt macht sich der Chef persönlich noch an meinen Bart! Er müht sich eine knappe Stunde ab, bis jedes Barthaar und jede Begrenzungslinie perfekt stimmen und jedes Nasenhärchen einzeln gekappt ist… Ich erkenne mich zwar kaum noch, doch sind nun alle zufrieden und Gertrud lädt die gepflegte, gut aussehende Familie zu einem delikaten Abendessen in einem der unzähligen Beizchen ein. 

 

Wanderungen im bewaldeten Hochland

Der Gebirgskamm, der sich durch die ganze Inselmitte erstreckt, ist wie eine Wetterscheide: Im Norden sind die wolkenverhangenen Gipfel, eine sehr niederschlagsreiche Gegend mit üppiger Vegetation, im Süden ist es sonnig und trocken. 

Niederschlagsreiches Hochland.

Auf Madeira wachsen über 70 verschiedene Arten von Farnen. Eine unbeschreiblich schöne Pflanze!

Der Weg führt durch dichte Eukalyptuswälder, wo sich teils Stamm an Stamm reihen.


Wir lutschen die Früchte der Eukalyptusbäume, die ziemlich stark riechen.

Später erst erfahren wir, dass der Duft des Eukalyptus nicht aus den Früchten, sondern aus den Blättern gewonnen wird.

Natürlich sammeln Gertrud und Flurina die trockenen Eukalyptusfrüchte, denn die kann man bestimmt irgendwann einmal zum Basteln brauchen!

Wilde Blumen, wo man auch hinschaut.

Das siegesbewusste Lachen verrät alles… Im Gestrüpp und zwischen wilden Hortensien hat Flurina wilde Bananen Maracuja entdeckt!

Selbstverständlich wird geerntet…

aufgeschnitten…

geteilt…

und genossen!

Auf der Wanderung stossen wir immer wieder auf Tunnels, die Teil des riesigen Bewässerungssystems von Madeira sind. Von der Decke tropft es, die Wände sind feucht und es gedeihen unterschiedlichste Moose und kleinblättrige Pflanzen, die fluoreszierend grün leuchten. Es ist ein magischer Anblick!

 

Levadas

Kurz nach der Besiedelung Madeiras im 15. Jahrhundert, begannen die Bewohner Bewässerungskanäle auf der ganzen Insel zu bauen, um Wasser ins Inselinnere für den Anbau von Zuckerrohr und Wein zu bringen. Diese 20 bis 120 cm breiten und bis 1 m tiefen Kanäle, sogenannte Levadas, schlug man aus den Felsen. Bis heute ist ein Kanalsystem von mehr als 2000 km entstanden! Pfade führen jeweils diesen Bewässerungskanälen entlang, die zur Wartung der Levadas gebraucht werden. Auf diesen Pfaden kann man unbeschreiblich schöne Wanderungen unternehmen. 

Levada mit Pfad.

Kann auch ganz schön nass sein!

Leicht könnte man sich diese Wildnis als Paradies für Schlangen, Skorpione und andere Gifttiere vorstellen. Weit gefehlt, auf Madeira leben überhaupt keine solche Tiere, erstaunlicherweise gibt es auch keine wilden Landsäugetiere. Das einzige, was man sieht, sind unzählige Eidechsen und in Küstennähe Seevögel. 

Über Zweidrittel der Fläche Madeiras stehen unter Naturschutz. Dies vor allem wegen des regenwaldähnlichen Lorbeerwaldes, der zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt. Ursprünglich hat der Lorbeerwald die ganze Insel auf der Höhe zwischen 700 – 1200 m bedeckt. Vor allem in den unwegsamen Steilhängen im Norden, hat er bis heute seine Ursprünglichkeit erhalten. Den bei uns bekannten Gewürzlorbeer, sucht man hier vergebens. Lorbeerwald ist ein Sammelbegriff von rund 20 unterschiedlichen Gehölzen.

Typisch, alle Stämme sind mit Moosen und Bartflechten bewachsen. 

Um Levadas in steile Felswände schlagen zu können, liessen sie früher Weidekörbe an Seilen herunter, darin standen die Arbeiter und spitzten Meter um Meter die Levadas aus den Felsen. Ein unglaubliches Bauwerk! 

Gebirgskamm als Wetterscheide – hier im niederschlagsreichen Norden. Lorbeerwälder soweit das Auge reicht.

Kein Aufwand wurde beim Bau der Levadas gescheut. Die Bewässerungskanäle führen immer wieder durch Tunnels, die von Hand herausgeschlagen wurden.

 

Porto Santo

Am 11. Oktober segeln wir für einige Tage zur 30 sm entfernten Insel Porto Santo. 

Gertrud weist zielsicher den Weg.

Flurina ist zurzeit navigatorisch nicht zu gebrauchen.

Wir ankern vor dem feinen Sandstrand vor Porto Santo. 

Bei Gertrud und mir werden viele schöne Erinnerungen wach. Vor über 32 Jahren sind wir mit unserer ersten kleinen Yacht, Meinwen (Rival 32), von Irland direkt nach Porto Santo gesegelt. Das war unsere erste Langstrecke, hier unser erstes Ankermanöver, unser erster Sandstrand, das Paradies!

Übermütig springe ich ins Wasser und geniesse das Bad in vollen Zügen – bis ich merke, dass mein brandneues iPhone noch in der Badehose steckt… Flurina weiss, wie man iPhones rettet. Sofort nimmt sie die Simkarte heraus und steckt das Gerät in trockenen Reis. 

Am Abend grübeln wir vorsichtig, wie Augenärzte, Reiskörner aus der Steckerbuchse und dem Schlitz für die Simkarte, die dort hineingerutscht und aufgequollen sind und sich elendiglich verklemmt haben. Nach gelungener Operation versuchen wir das Gerät zu starten. Der Bildschirm bleibt schwarz. Wir hängen das iPhone ans Ladekabel – es wird so heiss, dass wir Angst kriegen, dass es zu brennen beginnt. Jeder weitere Wiederbelebungsversuch scheitert kläglich.

Wir gehen in die kleine Ortschaft und suchen als erstes eine Bäckerei, denn Gertrud und ich erinnern uns noch genau, hier gab es die besten Mohn- und Kokosschnecken auf der ganzen Welt!

Weit über dem Städtchen sehen wir eine kleine Kirche. Die wollen wir besichtigen und von dort einen ausgedehnten Spaziergang machen. 

Fast würde an dieser Stelle der Eintrag für immer enden mit der Bemerkung: Bei dieser Kapelle fand die Crew von Pagan ihre letzte Ruhestädte…

Nun, alles schön der Reihe nach!

Wie so oft ist Gertrud bei Spaziergängen vorausgegangen, findet schöne Wege, die uns direkt zur Kirche führen. 

Herrlicher Ausblick von der Kirche.

Neben der Kirche finden wir einen schmalen Fussweg, der zwischen Kakteenfelder hindurch führt und Gertrud glaubt, dass man auf ihm den höchsten Punkt des in der Nähe liegenden Berges erreichen könnte. Flurina und ich sind einverstanden.

Bei jedem Tritt huschen Eidechsen davon. Die Kakteenfrüchte, die wir ernten, sind nicht besonders gut, die Aussicht jedoch traumhaft. 

Plötzlich ein Schuss. Wir zucken zusammen. Flurina und mir ist es unheimlich. Sollen wir umkehren? Gertrud findet das völlig übertrieben und geht weiter, wir hintennach. 

Wieder ein, zwei, fünf –  zehn Schüsse! Alle paar Minuten knallt es. Gertrud schreitet unbeirrt voran, Flurina und ich haben Bedenken.

Plötzlich treffen wir auf eine Gruppe Jäger. Sie sagen, heute sei Jagdtag und wir sollten vielleicht gescheiter umkehren – oder ganz aufrecht gehen, damit man uns erkennen kann. Gertrud ist klar für weitergehen und findet, dass man uns wohl kaum mit Vögeln verwechseln wird. Flurina und ich sind hingegen unsicher, ob diese Jäger auch Hasen von Angsthasen unterscheiden können. Zudem sehen wir, dass die Jäger in ihren Kühlboxen mehr Bier als Beute mit sich herumschleppen und weigern uns, weiter zu gehen. Es braucht noch einige Überredungskünste, dann lässt sich auch Gertrud von ihrem Plan abbringen.

Mit diesem Ereignis hat Gertrud bei Flurina und mir ihre Glaubwürdigkeit als kompetente Insel-Führerin vollständig verloren. Ab sofort übernimmt Flurina diese Aufgabe und beteuert, dass sie der geborene «Guide» sei! Wir vertrauen voll und ganz unserem neuen «Guide». 

Der Startpunkt einer Wanderung mit unserem neuen «Guide» beginnt dort, wo das Profil des letzten Autos im Dreck verschwindet…

«Vertraut eurem Guide, er kennt und weiss alles!» Flurina führt uns durch wegloses, zerklüftetes Gelände ins Niemandsland.

Gertrud und ich staunen – unser «Guide» führt uns nach dem unwegsamen Gelände auf einen traumhaften Pfad, der hoch oben auf einer Klippe der Küste entlang führt. 

Auf einem Klippenweg im Südosten der Insel. 

Im Hintergrund die Insel Ilhéu de Cima mit ihrem Leuchtturm. 

«Kommt schon, hier geht es weiter!»

Unser «Guide» findet einen Tunnel, durch den wir auf die andere Seite der Insel gelangen. 

Stolz, diesen Weg entdeckt zu haben…

Ein wunderschöner Blick eröffnet sich nach dem Tunnel auf das Meer, die tosende Brandung, die schroffen Klippen, Rocks und Inselchen. 

Wir gehen der Küste entlang und finden ein abgelegenes Restaurant. Gertrud und Flurina gönnen sich je einen frisch zubereiteten Sangria und ich ein kaltes Bier. Im Restaurant spielen einige alten Männer auf ihren Ukulelen und Gitarren und singen dazu. Wir verstehen zwar kein Wort, doch ist klar, dass sie die Angestellten des Restaurants und die wenigen Zuhörer auf die Schippe nehmen und wir müssen mit lachen. 

Die Sonne nähert sich schon dem Horizont. Wir müssen uns beeilen, um Pagan noch bei Tageslicht zu erreichen. Flurina versichert uns, uns auf dem direktesten Weg zum Hafen zu führen. Wir überqueren einen Hügelzug, zuoberst treffen wir auf einen Aussichtspunkt von wo aus wir den Hafen sehen können. 

Weit unten Pagan vor Anker, der einzige Zweimaster im Hafen von Porto Santo. Wir haben Schutz im Hafen gesucht, da in den nächsten Tagen ein heftiger Sturm erwartet wird.

Am nächsten Tag soll der höchste Berg in der Umgebung bestiegen werden. Wir packen den Rucksack und los geht’s. 

Nur Zwischenpause, bei weitem noch nicht der Gipfel!

Kritischer Blick unseres «Guides»: Warum haben die Eltern Mühe mit Strandsandalen zu klettern? Jetzt wird es ja erst richtig steil!

Selbstverständlich muss der Berggipfel erklimmt werden.

Oben ist für Flurina erst «ganz, ganz zuoberst»!

Traumhafter Rundblick!

Wir mieten für einen Tag zwei Roller und fahren kreuz und quer durch die ganze Insel, stoppen immer wieder und unternehmen Spaziergänge und kleinere Wanderungen, hier zu Fuss um den südlichsten Zipfel der Insel.

Ein schöner Blick von Süden auf die malerische Bucht von Porto Santo.

Mit den Rollern fahren wir über die Insel zur Nordküste, wo wir immer wieder anhalten und zu Aussichtspunkten hinaufsteigen.

Hier hat es keine Wege. Wir folgen der schroffen Nordküste und entdecken einen atemberaubenden Ausblick nach dem andern. 

Das vulkanische Gestein leuchtet in allen Farben. 

Sähe man nur einen Ausschnitt aus diesem Gestein, könnte man glauben, er stamme von einem handgrossen Stein, aber weit gefehlt, es sind ganze Berge!

Der Weg führt auf der trockenen Südseite eines Hügels in die Höhe. Im Gelände sehen wir überall Terrassen, die am Zerfallen sind. Anscheinend wurde hier früher intensiv Landwirtschaft betrieben. 

Gibt es hier etwas zum Festen?

Oben angekommen sind wir erstaunt, dass auf der Nordseite teils üppig föhrenartige Bäume und anderes Gestrüpp wachsen.

Der Weg führt durch eindrückliches, farbiges Gelände.

Aber Achtung, solche Wanderungen sind nicht ungefährlich! Mitten im Gebüsch lauern grauenvolle Gefahren!

Schreckliche Monster mit offenen Mäulern!

Wir segeln von Porto Santo zurück auf die Hauptinsel Madeira, denn schon bald ist der Urlaub von Gertrud und Flurina zu Ende. 

Wir hatten eine sehr schöne und erlebnisreiche Zeit zusammen und der Abschied fällt nicht leicht: «Schöne Adventszeit, fröhliche Weihnachten, einen guten Rutsch ins neue Jahr, alles Gute zum Geburtstag und schöne Ostern, pass auf dich auf, wir sehen uns dann nächstes Jahr im späten Frühling.»